Die meisten Menschen würden lieber ganz auf Konflikte verzichten, anstatt sich mit der Lösung von Konflikten auseinanderzusetzen. Doch wer im Kundenservice arbeitet, weiß, dass Kundenkonflikte immer zur Arbeit mit Menschen gehören.
Zum Glück muss die Lösung eines Konflikts keine lästige Qual sein, die es zu bewältigen gilt.
„Konflikte bringen Wahrheit, Kreativität und Lösungen hervor“, schrieb der erfahrene Verhandlungsführer bei Geiselnahmen und Experte für Konfliktmanagement Chris Voss in seinem 2016 erschienen Buch, Kompromisslos verhandeln: Die Strategien und Methoden des Verhandlungsführers des FBI (deutsche Ausgabe erschienen 2017).
Voss und andere Konfliktlösungsexperten sehen in Konflikten eine wertvolle Gelegenheit, um entscheidende Informationen zu gewinnen. Konfliktlösungen können – werden sie richtig gehandhabt – Geschäftsbeziehungen retten und Vertrauen bei Kunden aufbauen. Eine gesunde (und gewinnbringende) Herangehensweise an die Lösung von Konflikten erfordert vor allem die richtige Einstellung und Taktik.
Warum Kundenkonflikte entstehen – und was sie für Ihr Unternehmen bedeuten
Kundenkonflikte entstehen, wenn zwei oder mehr Parteien sich nicht auf eine Vorgehensweise einigen können. In der Regel liegt das daran, dass sich Perspektiven, Werte oder Meinungen unterscheiden. Werden Konflikte mit Kunden nicht gelöst, kann dies negative Auswirkungen auf Kundenbindung, Loyalität und Markenwahrnehmung haben.
Im Zendesk-Bericht zu Customer-Experience-Trends 2020 gab fast die Hälfte der Kunden an, bereits nach einer einzigen schlechten Erfahrung zu einem Mitbewerber zu wechseln. Wenn mehr als eine schlechte Erfahrung gemacht wurde, steigt diese Zahl auf 80 % an.
Da steht viel auf dem Spiel! Eine souveräne Konfliktlösung gibt Ihnen die Möglichkeit, diese Widerstände zu überwinden und Kunden von einem Wechsel abzubringen. In einem einzigen Gespräch kann Ihr Kundenservice-Team eine potenziell schädliche Erfahrung in eine positive Interaktion umwandeln.
Die Neurowissenschaft hinter Kundenkonflikten
Der erste Schritt zur erfolgreichen Konfliktlösung ist, sich in wütende Menschen hineinzuversetzen. Je besser Sie verstehen, was in Ihrem Gegenüber vorgeht, desto besser sind Sie darauf vorbereitet, die Emotionen zu regulieren und produktive Gespräche zu führen.
Heutzutage haben wir dank Neurowissenschaft, Psychologie und Soziologie einen Einblick in das, was in den Köpfen von Menschen vorgeht, die in Konflikten aneinander geraten:
Konflikte führen zu Stress und Stress führt zu einer schlechteren Kommunikation.
Wenn sich zwei Menschen nicht einigen können, erfolgt im Gehirn eine Stressreaktion. Stressreaktionen führen dazu, dass sich Muskeln verspannen, die Stimme höher und lauter wird und das Herz schneller schlägt. Kognitiv wird es schwieriger, Dinge zu verstehen, klar zu denken oder Gedanken in Worte zu fassen.Schlechte Kommunikation führt dazu, dass der Konflikt eskaliert.
Probleme bei der Kommunikation bergen die Gefahr, dass weiterer Stress und Missverständnisse entstehen.Um Konflikte zu lösen, benötigt man einen ruhigen Körper und Geist.
Wenn man das Gefühl hat, verstanden zu werden, setzt das Gehirn Oxytocin, (das sogenannte Bindungs- oder Kuschelhormon) frei. Das Hormon trägt zur Stressreduzierung bei und verbessert die Zusammenarbeit unter Menschen.Die gewohnten Konfliktstile, die jeder Einzelne mitbringt, können die Konfliktlösung fördern oder behindern.
Unser Lebenslauf und unser Temperament prägen unseren jeweiligen Konfliktstil. So nehmen wir im Laufe eines Konflikts bestimmte Rollen ein. Einige von uns sind Kämpfer, die gern Auseinandersetzungen und Diskussionen führen. Andere sind Vermeider: Konfliktscheu wie sie sind, schwimmen sie lieber mit dem Strom. Viele von uns liegen irgendwo dazwischen. Die Konfliktexpertin Amy Gallo beschreibt das als „Kontinuum von Kämpfer bis Vermeider.“ Um sich einen neuen Konfliktstil aneignen zu können, benötigt man die richtige Einstellung und einen gewissen Grad an emotionaler Intelligenz.
Trotz Körperreaktionen können wir Stress kontrollieren und die Bedürfnisse der Kunden in allen Szenarien erfüllen.
Konfliktsituationen im Kundenservice
Dave Dyson, Senior Customer Service-Papst bei Zendesk, erklärt: „Konflikte im Kundenservice entstehen, wenn man die Absicht, die Motive oder die Fähigkeit des anderen, etwas zu verändern, falsch einschätzt.“
Konflikte im Kundenservice können sich auf verschiedene Arten abspielen. Jede dieser Situationen birgt das Risiko, dass das eigene Ego die Lösungsfindung behindert.
Kunde gegen Supportmitarbeiter
Besonders häufig kommt einem dieses Szenario in den Sinn, wenn es um Konflikte im Kundenservice geht. Ein Kunde ist verärgert, weil etwas nicht so funktioniert, wie er es für richtig hält. Hier ist entscheidend, dass der Supportmitarbeiter seine persönlichen Interessen zurückstellt und die Rolle des einfühlsamen Verhandlungsführers einnimmt.Kollege gegen Kollege
Dieser Konflikt tritt innerhalb des Kundenservice-Teams oder zwischen Kundenservice und anderen Abteilungen auf. Es ist zwar möglich, eine Lösung zu finden, auch ohne dass jemand von außen eingreift, allerdings müssen sich beide Parteien dazu verpflichten, ihre Meinungsverschiedenheiten aufzuarbeiten.Supportmitarbeiter gegen Manager
Diese schwierige Situation tritt auf, wenn ein Mitarbeiter und ein Vorgesetzter unterschiedlicher Meinung sind. In der Regel geht es um die Arbeitsleistung, Entwicklungsmöglichkeiten oder ungerechte Behandlung. Sowohl Manager als auch Supportmitarbeiter sollten Verständnis zeigen und Verhandlungstaktiken anwenden, um das Problem zu lösen. Unter Umständen ist es notwendig, eine dritte Person einzubeziehen, um die Angelegenheit fair zu klären.
Wenn Sie zulassen, dass die Wut einer anderen Person Ihre Bemühungen, zu einer gemeinsamen Basis zu finden, beeinträchtigt, können Konfliktverhandlungen scheitern. Dann gibt es nur Verlierer. Mit der richtigen Taktik lassen sich auch die größten Konflikte erfolgreich lösen und in eine Win-Win-Situation verwandeln.
Sechs wichtige Strategien zur Konfliktlösung im Kundenservice
Eine Lösung des Konflikts findet dann statt, wenn man sich auf eine bestimmte Vorgehensweise geeinigt hat, die das Problem lösen soll. Im Idealfall haben alle Beteiligten am Ende das Gefühl, dass ihre Vorstellungen von den anderen gehört und respektiert wurden. Um diese allgemeine Zufriedenheit zu erreichen, benötigt man vor allem eine ausgeglichene Kombination aus Selbstwahrnehmung, Zuhören, Einfühlungsvermögen und verständnisvollem Verhandeln.
Innehalten und auf sich selbst achten
Vor einem schwierigen Gespräch sollten Sie sich emotional erden.
„Was man selbst nicht hat, kann man auch nicht weitergeben“, sagt Brigit Ritchie, CEO des Learning Studio WE und Mitbegründerin des Relational Mindfulness Frameworks.
Relational Mindfulness, die Achtsamkeit in Beziehungen, hilft Ihnen, die ruhige, fokussierte Aufmerksamkeit zu entwickeln, die Sie benötigen, wenn Sie sich Probleme anhören und auf Lösungen hinarbeiten möchten. Eine Technik in der Relational Mindfulness ist das selbstreflektierende Innehalten.
„Manchmal hilft es schon, kurz zurückzutreten, tief durchzuatmen und sich auf seinen Körper zu konzentrieren,“ so Ritchie.
Bevor Sie sich auf einen Konflikt einlassen, sollten Sie sich einen achtsamen Moment nehmen, um stressmindernde Hormone im Gehirn freizusetzen. Auf diese Weise sorgen Sie für einen ruhigen, offenen und klaren Verstand beim Gespräch.
Auch folgende Ideen helfen Körper und Geist, sich auf die Konfliktlösung vorzubereiten:
Lieblingssongs hören
Lächeln
Wasser trinken
Videos ansehen, die ans Herz gehen
Einen kurzen Spaziergang machen
Wenn Sie Relational Mindfulness in Ihren Alltag integrieren, sind Sie auf Krisen und Konflikte bestens vorbereitet.
Aktives Zuhören
Wenn Sie eine Diskussion anstoßen möchten, sollten Sie sich gleich zu Anfang an darauf einstellen, zuzuhören, was die andere Person zu dem Problem sagen möchte. Machen Sie in jeder Art von Konflikt von den folgenden Techniken zum Zuhören Gebrauch. Besonders liegt hier aber unser Schwerpunkt auf dem Umgang mit wütenden Kunden.
„Zuhören“ ist mehr als „nicht sprechen“ (auch wenn das unbedingt dazu gehört). Es bedeutet auch (kurzzeitig) die eigenen Interessen zurückzunehmen, um den Standpunkt der Kunden vollständig zu begreifen. Außerdem geht es darum, wichtige Informationen zu sammeln, um eine Einigung zu erzielen, wenn es dann ans Verhandeln geht.
Durch aktives Zuhören können Sie dem Kunden Gehör verschaffen und ihm zeigen, dass Sie sein Problem wirklich verstehen.
Wählen Sie den besten Kommunikationskanal.
Zeigen Sie, dass Sie zuhören, und schaffen Sie eine Umgebung, in der Sie sich voll und ganz auf das Problem Ihres Kunden konzentrieren können. „Der Vorschlag, das Gespräch in einem Live-Chat oder Telefonat zu führen, trägt zu einer verbesserten Kommunikation bei und zeigt, dass es Ihnen wichtig ist, sich ganz auf das Problem einzulassen,“ so Dave Dyson.Lassen Sie den Kunden reden …
und noch mehr reden. Jetzt hat der Kunde das Wort. Geben Sie ihm die Möglichkeit, seine Sicht der Dinge ohne Unterbrechungen zu schildern.Zeigen Sie, dass Sie zuhören, ohne dabei den Redefluss zu stören.
Signalisieren Sie mithilfe kleiner Interjektionen wie „aha“ und „mhm“, dass Sie aufmerksam sind. So fühlt sich der Kunde ermutigt, weiterzusprechen. Und genau das wollen Sie ja. Dyson nennt diese Signale „das verbale Kopfnicken“.Notieren Sie, was Ihnen auffällt.
Behalten Sie den Überblick über die Geschichte Ihres Kunden und notieren Sie sich die wichtigsten Informationen. Dave empfiehlt, sich zu notieren, „welche Konsequenzen die Person daraus zieht und wie sie über die Situation denkt.“Denken Sie über seine Sichtweise nach.
Wenn der Kunde Ihnen seine Lage vollständig geschildert hat, beginnt der „aktive“ Teil des aktiven Zuhörens. „Fragen Sie: ,Darf ich zusammenfassen, was ich gehört habe?’ und beginnen Sie damit, dass Sie sagen: ,Ich habe gehört, dass Sie darüber verärgert sind, weil ….’“ rät Dyson. Spiegeln Sie so gut wie möglich das, was der Kunde Ihnen erzählt hat, ohne seine Erfahrungen geringzuschätzen.
Indem Sie Emotionen deeskalieren und Kunden die Möglichkeit geben, sich zu äußern, gewinnen Sie Vertrauen. Sobald Sie ein gemeinsames Verständnis des Problems hergestellt haben, können Sie zusammen an der Lösung arbeiten.
Meinungsverschiedenheiten mithilfe von taktischem Einfühlungsvermögen entschärfen
Wenn Sie selbst das Wort ergreifen, kann Ihnen taktisches Einfühlungsvermögen dabei helfen, zu zeigen, dass Sie den Kunden verstehen, auch wenn Sie eine andere Meinung vertreten.
„Durch taktisches Einfühlungsvermögen demonstrieren Sie, dass Sie die Perspektive des Gegenübers erkennen und strategisch, ja sogar proaktiv artikulieren können, auch wenn Ihnen dessen Perspektive nicht gefällt,“ so der ehemalige Verhandlungsführer des FBI bei Geiselnahmen Christopher Voss.
Beachten Sie die folgenden Tipps und Tricks zu taktischem Einfühlungsvermögen, um im Verlauf der Verhandlungen eine Vertrauensbasis zu schaffen.
Setzen Sie taktisches Einfühlungsvermögen ein, um intensive Emotionen zu entschärfen und dem Kunden das Gefühl zu vermitteln, dass Sie ihn verstehen.
Verhandeln Sie mit einem kühlen Kopf
Sobald klar ist, dass Sie die Sichtweise Ihres Kunden verstehen, können Sie gemeinsam an dem Problem arbeiten.
„Das ist der Zeitpunkt, an dem der Kunde fragen wird: ,Und was wollen Sie jetzt dagegen unternehmen?’“ sagt Dave Dyson.
Das ist hilfreich, die Oberhand zu behalten und gleichzeitig Ihrem Kunden das Gefühl zu geben, dass er die Fäden in der Hand hält. Dyson erläutert im Folgenden einige wichtige Verhandlungstaktiken, damit alles geordnet verläuft.
Jetzt sollten Sie sich auf ein Vorgehen einigen oder zumindest die nächsten Schritte zur Problemlösung festlegen. Auch wenn Ihr Kunde am Ende nicht zufrieden ist: Es ist für Sie beide wichtig, zu wissen, dass Sie alles getan haben, um ihm zu helfen.
Rekrutieren und schulen Sie Ihre Mitarbeiter mit Blick auf ihre Konfliktlösungskompetenz
Der Umgang mit Konflikten in Ihrem Unternehmen ist immer nur so gut wie die Mitarbeiter, die Sie einstellen. Für den Aufbau einer Konfliktlösungskultur ist es wichtig, auf die emotionale Intelligenz der Mitarbeiter zu achten und sie zu schulen, um ihre Fähigkeiten weiter auszubauen.
Fragen Sie potenzielle Mitarbeiter in Vorstellungsgesprächen, wie sie in der Vergangenheit mit Konflikten umgegangen sind:
Waren sie jemals wütend auf einen Kunden? Unter welchen Umständen? Wie sind sie mit der Situation umgegangen?
Hatten sie schon einmal mit einem wütenden Kunden zu tun, der zu Recht verärgert war? Prüfen Sie, wie sich ihre Reaktion verändert, wenn der Kunde aus ihrer Sicht im Recht oder im Unrecht ist.
Wie gehen sie mit sich selbst nach einem schwierigen Gespräch um?
Achten Sie darauf, ob der Kandidat einige der oben erwähnten Konfliktlösungsstrategien angewendet hat. Wenn ja, ist das ein gutes Indiz dafür, dass er der Richtige für den Job ist.
Was die Schulungen anbelangt, so rät Dyson dazu, dass Teamleiter mit ihren Supportmitarbeitern Konfliktszenarien mit Kunden durchgehen.
„Informieren Sie sie über den Ablauf von Konflikten, fragen Sie, wie das im Team ankommt, und überlegen Sie, wie sie Konfliktlösungsszenarien in Rollenspielen anwenden können,“ so Dyson.
Ermöglichen Sie Ihren Supportmitarbeitern, in der Praxis zu lernen: Hören Sie bei Kundengesprächen zu und geben Sie direkt im Anschluss Feedback. Eine kurze Nachbesprechung liefert Anhaltspunkte dafür, wie sie den nächsten Kundenkonflikt reibungsloser gestalten können.
Gehen Sie selbst mit gutem Beispiel voran
Als Manager haben Sie oft die Gelegenheit, die Kompetenzen, die Sie von Ihrem Team erwarten, selbst vorzuleben. Dyson empfiehlt in Ihrem täglichen Umgang mit dem Team die Anwendung von Konfliktlösungsstrategien.
Zeigen Sie, wie Sie in Teambesprechungen oder Einzelsitzungen aktiv zuhören und Probleme reflektieren können.
Benennen Sie beim Umgang mit Meinungsverschiedenheiten zwischen Teammitgliedern die Gefühle.
Machen Sie Verständnislücken in der Zusammenarbeit zwischen Teams kenntlich.
Bedanken Sie sich für Feedback, auch wenn dieses negativ ausfällt.
Bei der Konfliktlösung geht es darum, Beziehungen zu stärken
Jedes Kundenservice-Team muss sich mit verärgerten Kunden oder zwischenmenschlichen Konflikten auseinandersetzen. Das ist Teil des Jobs. Aber die falsche Einstellung zu Konflikten kann zu hoher Mitarbeiterfluktuation und geringer Kundenloyalität führen.
Statt Konflikte als lästiges Übel zu betrachten, sollten Sie sie als Chance begreifen, Beziehungen noch mehr Bedeutung zu verleihen. Bringen Sie Ihrem Team bei, Meinungsverschiedenheiten mit Neugier zu begegnen. Geben Sie ihnen die Konfliktlösungsstrategien in die Hand, um das Problem zu verstehen.
In einem einzigen gelungenen Gespräch lässt sich ein wütender Kunde beruhigen, Sie erfahren mehr über seine Bedürfnisse und können ihm den Tag versüßen.