Auf Flughäfen lassen sich die schlimmsten Fehler im Kundenservice beobachten. Nach einer Stunde Wartezeit an der Sicherheitskontrolle, einem fast verpassten Flug und einem knurrenden Magen, weil es im Terminal nicht mehr für das Mittagessen gereicht hat, geht’s endlich vorwärts: Sie steigen ins Flugzeug. Endlich können Sie aufatmen, nach allen Hürden und Problemen. Zu früh gefreut. Die Flugbegleiterin fordert Sie auf, Ihr Gepäck aufzugeben, obwohl sich darin Ihr wertvoller Laptop befindet. Am Ende ist die verbliebene Zeit noch kürzer als Ihr Geduldsfaden.
Vielleicht denken Sie, dass Sie einfach nur wütend sind, weil im Gepäckfach kein Platz mehr war. Doch das ist so nicht ganz richtig.
Warum Wissen zufriedener macht
In einer gemeinsamen Studie von JetBlue und der Stanford d.school, Institute of Design, befragten Studenten und Wissenschaftler Fluggäste und folgten ihnen vom Check-in bis ins Flugzeug. Laut Perry Klebahn, Director of Executive Education an der d.school, stellten sie offene Fragen und erhielten überraschende Antworten. Natürlich waren die befragten Passagiere zufrieden, wenn es im Flugzeug genug Platz für ihre Tasche gab. Aber sie waren ebenso zufrieden, wenn sie vorher wussten, dass sie ihr Gepäck aufgeben mussten. Unzufrieden waren die Kunden, die noch nicht wussten, ob es genügend Platz für ihre Tasche geben würde. „Es geht in Wirklichkeit um das unangenehme Gefühl des Nicht-Wissens“, so Klebahn.
Genau hier liegt der Unterschied zwischen einfühlsamem Kundenservice in der Theorie und in der Praxis. Und deshalb sollten Kundenservicemitarbeiter einen Schnellkurs in menschenorientiertem Design belegen.Gewiss mag ein Flugbegleiter mit einem Fluggast Mitgefühl haben und verstehen, dass er sich über den mangelnden Platz im Gepäckfach ärgert. Vielleicht erkundigt er sich sogar nach dem Befinden des Fahrgasts. Aber eine Customer Experience im Sinne eines menschenzentrierten Designs beschränkt sich nicht nur auf eine Person, die eine Frage stellt. Vielmehr werden bei jeder Etappe gezielte und offene Fragen gestellt. Diese Daten werden dann dazu genutzt, um die Customer Journey proaktiv zu optimieren und das Problem direkt an der Wurzel zu packen. Beim Kundenservice sollte es schließlich um mehr gehen, als darum, wütende Kunden zu besänftigen. Vielmehr sollte er dafür sorgen, dass sie gar nicht erst wütend werden.
Beim Kundenservice sollte es um mehr gehen, als darum, wütende Kunden zu besänftigen. Vielmehr sollte er dafür sorgen, dass sie gar nicht erst wütend werden.
„Beim Kundenservice lässt sich ein designorientierter Denkansatz leicht anwenden“, so Klebahn. „Kundenfeedback kann sehr schnell erfasst werden. Stellen Sie einige offene Fragen und gehen Sie auf Entdeckungsreise, anstatt einfach nur eine Anfrage zu beantworten.“
Neue Wege im Kundenservice
Diese einfachen Tipps von Klebahn erleichtern Ihnen die ersten Schritte mit den beiden wichtigen Elementen im Kundenservice: Einfühlungsvermögen und ein menschenzentriertes Design:
- „Geben Sie Ihren Mitarbeitern in Kundengesprächen die Möglichkeit, nach dem Warum zu fragen.“ Bei all dem Zeitdruck im Alltag und der ewigen Flut von Kundenanfragen mag es seltsam erscheinen, sich Zeit zu nehmen und ein tiefgreifendes Gespräch mit einem wütenden Anrufer zu führen. Aber es lohnt sich, denn damit können Sie auch die Probleme vieler weiterer Kunden für die Zukunft lösen.
- Führungskräfte sollten einen Tag als Kundenservicemitarbeiter arbeiten. „So bauen Sie Beziehungen zu den Kunden auf und denken nicht immer nur in Zahlen oder Wirtschaftsdaten“, erklärt er. Als früherer Manager bei Timbuk2 und Patagonia praktizierte Klebahn diese Methode selbst. „Das war sehr ernüchternd und hat meinen Blick für die großen Themen extrem geschärft.“
- Stellen Sie alle möglichen bedeutsamen Fragen. Fragen Sie nicht nur, warum das Kleid der Kundin nicht gepasst hat, sondern auch, wie es idealerweise sitzen sollte, wenn alles nach ihrem Kopf ging. Fragen Sie danach, welchen Aktivitäten die Kunden in diesem Outfit nachgehen werden. Sie werden sich wundern, was Sie alles über Ihre Kunden lernen können, wenn Sie ihnen nur den Raum geben, sich zu äußern.
- Erstellen Sie für die Führungskräfte des Unternehmens und für andere Abteilungen eine systematisierte Methode zur Erhebung und Auswertung von Kundenserviceumfragen. „Unsere Kunden können uns weitaus mehr darüber verraten, was auf der Welt vor sich geht, wenn wir ihnen einfach zuhören“, so Klebahn. „Die Frage, die sich uns stellt, ist die: Wie sorgen wir dafür, dass Kundenservicemitarbeiter im Unternehmen gehört und die Informationen irgendwo gespeichert werden?“
Das Geheimnis: Empathietraining
Ein auf den Menschen ausgerichtetes Design verbessert nicht nur die Produktqualität und den Kundenkontakt, sondern optimiert auch die Art und Weise, wie Kundenservicemitarbeiter mit Problemen umgehen. Aus diesem Grund plädiert Joyce Thomas, Professorin für Industriedesign an der University of Illinois in Champaign-Urbana, für Empathietraining.
Ein auf den Menschen ausgerichtetes Design verbessert nicht nur die Produktqualität und den Kundenkontakt, sondern optimiert auch die Art und Weise, wie Kundenservicemitarbeiter mit Problemen umgehen.
„Wenn Sie gerade mitten in einer Auseinandersetzung stecken, ist es schwer, einen Schritt zurückzutreten, sich aus der Situation herauszunehmen und zu sehen, was Sie daraus lernen können“, so Thomas. „Deshalb ist es so wichtig, Einfühlungsvermögen zu trainieren. Es hilft Ihnen, eine Art Gedächtnis für diese Erfahrung zu entwickeln – wie für die Muskeln beim Sport.
Die Zauberformel ist recht einfach: Rollenspiel. Bringen Sie sich dazu, aus Ihrer eigenen Perspektive herauszutreten, indem Sie sich buchstäblich wie jemand anderes verhalten. Thomas bittet ihre Studenten und die Unternehmensberater, mit Vaseline verklebte Sonnenbrillen aufzusetzen, die durch an den Seiten angebrachte Papierscheiben die Sicht erschweren. „Ich nenne sie Einfühlungsbrillen“, so Thomas. „Plötzlich nimmt man den Platz einer völlig anderen Person ein. Gerade als Geschäftsperson können Sie mithilfe dieser Methode lernen, dass Sie zwar meinen zu wissen, wo die Dinge stehen, aber nicht alle sehen können.“
Thomas hat ein paar Tipps aus diesen Schulungen für Kundenservicemitarbeiter:
- Gehen Sie jeden Schritt mit, den ein Kunde durchführen muss, um Sie zu erreichen. Kundenservicemitarbeiter sollten genau verstehen, wie das Sprachdialogsystem oder die Benutzeroberfläche funktioniert. Wie viele Klicks muss ein verärgerter Kunde machen, bis er endlich bei Ihnen ankommt? Es geht nicht nur darum, die Antwort darauf zu kennen, sondern den Prozess selbst zu durchlaufen – und zwar immer wieder. „Sie müssen die Perspektive des Endbenutzers einnehmen, damit Sie verstehen können, was er fühlt und welche Emotionen er in dieser Zeit durchmacht“, so Thomas.
- Simulieren Sie die Herausforderungen Ihrer Kunden. Wenn Ihre Anrufer oft das gleiche Problem haben – z. B. dass das Produkt beim Öffnen der unhandlichen Verpackung zu Bruch geht – dann sollten Sie versuchen, dieses Problem zu simulieren. Öffnen Sie wirklich die Verpackung so, dass das Produkt kaputt geht. Versetzen Sie sich in die Gefühlslage einer Person, die sich so sehr auf ein neues Gerät freut, und deren Freude dann umschlägt, sodass sie sich niedergeschlagen und ein wenig dumm und unbeholfen fühlt. Stellen Sie sich die Verlegenheit und Enttäuschung vor. Versuchen Sie nun, dem Sprachdialogsystem Ihres Unternehmens bis zum Kundendienst zu folgen. „Es geht beim Empathietraining darum, diese Entwicklung zu verstehen“, erklärt sie.“
Versetzen Sie sich in die Gefühlslage einer Person, die sich so sehr auf ein neues Gerät freut, und deren Freude dann umschlägt, sodass sie sich niedergeschlagen und ein wenig dumm und unbeholfen fühlt. - Wenn tatsächliches Simulieren nicht möglich ist, können Sie auch mit Geschichten arbeiten. Geben Sie Ihrem Kundenserviceteam eine Liste mit fiktiven privaten Hintergrundinformationen zu einem Anrufer. Stellen Sie sich etwa vor, dass der Anrufer gerade erfahren hat, dass ein Familienmitglied einen Unfall hatte. Ein paar Stunden später ruft er an. Obwohl es beim Empathietraining in der Regel darum geht, physisch in die Rolle einer anderen Person zu schlüpfen, können Sie manche Probleme eines Anrufers nicht ohne Fantasie simulieren.
Skepsis und Überraschung
Wenn Sie solchen Spielchen skeptisch gegenüberstehen, geht es ihnen wie vielen anderen. Als Thomas bei einer Konferenz in Malaysia eine Gruppe von Medizinern ihre Einfühlungsbrille aufsetzen ließ, hatte sie Bedenken, ob die Zielgruppe überhaupt noch Neues erfahren würde. Die Teilnehmer waren ausgesprochen gebildet, erfahren und es gewohnt, sich in ihre Patienten einzufühlen. Doch kurz bevor die Ärzte begannen, mit eingeschränkter Sehfähigkeit herumzulaufen, erlebte Thomas eine Überraschung. „Es war wirklich interessant zu hören, dass sie sagten: ,Ich bin richtig nervös, mir tut der Bauch weh’, oder ,Ich finde das spannend, aber ich habe Angst’.“ Sie gaben anderen Ärzten die Hand oder stützten sich beim Umhergehen mit einem Arm auf die Schulter des anderen.
„Es führte dazu, dass sie mit einer anderen Person in Kontakt treten wollten“, erinnert sie sich. „Genau darum geht es beim Empathietraining: Vielleicht denkt man anfangs etwas von oben herab, dass das doch alles ein Kinderspiel ist. Doch dann macht man häufig so frustrierende Erfahrungen.“
Letztlich sorgen diese Überraschungen dafür, dass die Geschäftstätigkeit verbessert werden kann. „Man beginnt, die Angst und die Erfahrungen dieser Person zu teilen und die Situation ganzheitlicher zu betrachten“, sagt sie. „Man findet Lösungen, die man gar nicht finden kann, wenn man nur auf seine eigene Erfahrung setzt.“
Rebecca Huval aus Sacramento schreibt über Design und die Art und Weise, wie es in unseren Alltag einfließt, wie etwa in die Technologie, das Essen und die Kultur. Ihre Artikel sind in Publikationen wie The Awl, GOOD sowie Communication Arts erschienen, wo sie als leitende Redakteurin tätig war. Folgen Sie ihr auf Twitter: @bhuval